Zwangsbehandlungen

BdB bezieht Stellung im Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

Auf einen Vorlagebeschluss des BGH (XII ZB 459722 v. 8.11.2023) hin beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit Einzelheiten der Vorgaben für eine sogenannte Zwangsbehandlung.
22.08.2024
  • Kay Lütgens

In diesem Verfahren geht es darum, ob eine sogenannte Zwangsbehandlung entgegen den ausdrücklichen Vorgaben in dem für das konkrete Verfahren noch maßgeblichen § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF (jetzt in dem wortgleichen § 1832 Abs. 1 Nr. 7 BGB geregelt) in Ausnahmefällen auch in einer Einrichtung zulässig sein muss, in der die betroffene Person untergebracht ist. Es geht um Fallkonstellationen, in denen auch dort die gebotene medizinische Versorgung einschließlich einer verspäteten erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist und mit einer Zuführung in ein Krankenhaus weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen verbunden wären. Dies wäre in dem konkreten Fall gegeben, da es sich bei der Wohnform der Betroffenen um eine stationsäquivalente Behandlung gem. § 39 Abs. 1 SGB V handelt, also um eine stationäre Behandlung im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams. 

In dem diesem Verfahren zugrunde liegenden Fall hatte die Betroffene auf notwendige Zwangsbehandlungen in einem Krankenhaus regelmäßig mit einer Retraumatisierung reagiert. In anderen Fallkonstellationen kommt es häufiger vor, dass sehr alte oder demente Menschen aufgrund des mit der Zuführung verbundenen Ortswechsels ein Delir entwickeln, das sich im Anschluss oft nicht mehr vollständig zurück entwickelt. Von daher wäre es zumindest "auf den ersten Blick" angebracht, für bestimmte Fallkonstellationen Ausnahmen von dem strikten Verbot einer sogenannten ambulanten Zwangsbehandlung zuzulassen. 

Andererseits wird aber befürchtet, dass erste Ausnahmen zu einer Art "Dammbruch" führen würden. Die zurzeit geltenden Regeln führen dazu, dass eine Zwangsbehandlung auch gerade wegen der erforderlichen Zuführung und einer damit zum Teil verbundenen notwendigen Gewaltanwendung als derart belastend angesehen wird, dass sie nur dann beantragt und genehmigt wird, wenn sie wirklich unerlässlich ist. Wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr so belastend wären, würde die Hemmschwelle bzgl. Beantragung und Genehmigung möglicherweise sinken, sodass solche Zwangsbehandlungen möglicherweise nach und nach immer verbreiteter werden würden.

Das würde eigentlich dafür sprechen, die jetzige strenge Regelung beizubehalten. Es ist aber auch nicht zulässig, einzelne Menschen im Interesse der Mehrheit quasi "zu opfern", in diesem Fall also einzelne Personen den Strapazen einer Zuführung und den sich daraus ergebenden zusätzlichen gesundheitlichen Nachteilen auszusetzen, um eine Ausweitung der sogenannten ambulanten Zwangsbehandlung im Interesse Dritter zu vermeiden. 

BdB kann sich eine sehr enge Lockerung vorstellen

Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst etlichen Organisationen die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Unter anderem haben aus dem betreuungsrechtlichen Bereich neben dem BdB auch der Betreuungsgerichtstag e.V. (BGT) und der Bundesverband freier Berufsbetreuer (BVfB) Stellungnahmen abgegeben.

  • Der BGT lehnt jede Art von Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses ab. 
  • Der BVfB hält eine Lockerung für geboten, eine Zwangsbehandlung sollte auch in der eigenen Wohnung möglich sein. 
  • Der BdB kann sich eine sehr enge Lockerung vorstellen, wenn die Rahmenbedingungen geändert werden. Dazu zählen u.a. verstärkte Bemühungen, Zwang grundsätzlich vermeiden zu können, die Einsetzung besonders für die in diesem Zusammenhang relevanten Aspekte geschulter Betreuer und Verfahrenspfleger (ähnlich der Einsetzung eines besonderen Betreuers für die stellvertretende Einwilligung in eine Sterilisation gem. § 1817 Abs. 2 BGB) sowie eine sorgfältige Einzellfallprüfung, z.B. ob eine Behandlung im eigenen Wohnumfeld wegen eines möglichen Vertrauensverlustes in die Sicherheit der eigenen Wohnung nicht schwerer wiegen würde als die Zuführung in ein Krankenhaus etc.

Am 16. Juli 2024 fand dazu eine mündliche Verhandlung statt, zu neben dem BdB weitere Vertreter verschiedener Verbände und Institutionen geladen waren. Im Rahmen dieser Anhörung wurden ebenfalls konträre Standpunkte vertreten. So setzten sich vor allem die Vertreter des BMJ dafür ein, die jetzige Regelung ohne jegliche Änderung beizubehalten.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass es keine Daten darüber gibt, ob eine Zwangsbehandlung im eigenen Wohnumfeld weniger belastend wäre als die Zuführung in ein Krankenhaus. Intuitiv geht man möglicherweise spontan davon aus, dass eine Behandlung im häuslichen Umfeld weniger belastend ist, weil die Zuführung entfällt und der gesamte Vorgang sowie damit verbunden auch die Dauer der Gewaltanwendung wesentlich weniger Zeit in Anspruch nimmt. Andererseits kann es aber auch sehr belastend sein, wenn das häusliche Umfeld den Charakter einer „sicheren Umgebung“ verliert. Und man muss sich auch fragen, ob eine sich daraus ergebende dauerhafte Belastung nicht schwerer wiegt als eine Zuführung. Andererseits kann die eigene Häuslichkeit ihren Charakter als sicherer Raum zum Teil schon dadurch verlieren, dass Dritte dort eindringen und den Betroffenen mit Gewalt in ein Krankenhaus bringen können. Hinzu kommt, dass es vermutlich auch individuelle Unterschiede gibt, Betroffene den Vorgang also ganz unterschiedlich wahrnehmen und bewerten. 

Dass es keine verlässlichen Daten darüber gibt, ob eine Behandlung im häuslichen Umfeld schonender sein kann als die mit einer Zuführung verbundene Behandlung in einem Krankenhaus, kann aber kaum als Argument dafür dienen, die derzeitige Regelung beizubehalten. Dass keine verlässlichen Daten vorhanden sind, bedeutet eben auch, dass niemand weiß, ob die mit einer belastenden Zuführung verbundene jetzige starre Regelung wirklich die bessere ist. Es handelt sich jedenfalls um eine sehr vielschichtige Problematik und man wird sicherlich erst in einigen Wochen oder Monaten mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechnen können.