Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Wohl und Wünsche und die Corona-Schutzimpfung

In einem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ging es um einen Berufsbetreuer, der in mehreren Fällen die Einwilligung in eine Corona-Schutzimpfung seiner Klient*innen verweigert hatte, weil er selbst Impfungen gegenüber sehr kritisch eingestellt ist. Schließlich wurde er aus den betreffenden Betreuungen entlassen. Seine dagegen eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 31.05.2021, 1 BvR 1211/21).
15.07.2021

Zur Begründung führt das BVerfG u.a. aus:

„Auch im Übrigen ist gegen die angegriffenen Gerichtsentscheidungen verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, ein System der Hilfe und des Schutzes für betreute Menschen vorzusehen, welche die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können (...). Nach der
gesetzgeberischen Ausgestaltung (vgl. §§ 1901 ff. BGB) ist der Wille einer betreuten Person wegen ihres grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts für den Betreuer und die staatlichen Organe
handlungsleitend ...).
Die Ersetzung des Willens der Betreuten durch den Betreuer und das Betreuungsgericht 
kommt unter den Voraussetzungen des § 1904 BGB überhaupt nur subsidiär in Betracht, wenn ihr tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht festzustellen ist. Wenn die ärztliche Maßnahme – wie hier
möglicherweise die Impfung – medizinisch angezeigt ist und bei ihrer Unterlassung eine begründete Gefahr für Leben oder Gesundheit des Betreuten besteht, muss das Betreuungsgericht gemäß § 1904 Abs. 2 BGB die Nichteinwilligung des Betreuers in den Eingriff genehmigen. Ansonsten ist der Betreuer in Erfüllung seiner besonderen Verantwortung für die betreute Person zur Einwilligung in die Maßnahme
verpflichtet. Die dauerhafte Nichterfüllung dieser Verpflichtung kann die Entlassung eines Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB rechtfertigen.“

Trotz der sehr knappen Begründung ist die Entscheidung letztlich zu begrüßen. Zum rechtlichen Hintergrund und zu den zu beachtenden gesetzlichen Vorgaben hatten wir schon Ende des vergangenen Jahres in Zusammenhang mit den damals beginnenden Impfungen von Heimbewohner*innen umfassend berichtet. Ein Informationsblatt zu diesem Thema kann hier heruntergeladen werden.

Zu beachten ist vor allem folgendes: Anders als im „normalen Zivilrecht“ gibt es bzgl. der Einwilligung in medizinische Behandlungen nicht die sogenannte Doppelzuständigkeit von Betreuer*innen und deren Klient*innen. Solange ein*e Patient*in einwilligungsfähig ist, kann nur er*sie selbst wirksam einwilligen bzw. eine Behandlung verweigern. Betreuer*innen können in diesen Fällen nur beratend und organisatorisch tätig werden, die Entscheidung über die Behandlung bleibt alleine den Klient*innen überlassen.

Im Fall fehlender Einwilligungsfähigkeit ist von Betreuer*innen (und Bevollmächtigten) das in den §§ 1901a, 1901b, 1904 Abs. 1, 2 u. 4 BGB vorgegebene Verfahren zu beachten. Sofern eine Patientenverfügung vorliegt, ist diese zu beachten. Andernfalls ist der mutmaßliche Wille zu erforschen und bei der stellvertretenden Entscheidung über eine Behandlung zu berücksichtigen. Sofern sich der mutmaßliche Wille nicht feststellen lässt, muss man sich an objektiven Kriterien orientieren, also in eine Behandlung einwilligen, wenn diese medizinisch indiziert ist. Sofern begründete Zweifel an der ärztlichen Aussage zu dieser Frage bestehen, kann eine Zweitmeinung eingeholt werden.

Es geht aber nicht an, die eigene Meinung bzw. eigene Wertvorstellungen an die Stelle des (mutmaßlichen) Willens des*der Patient*in zu setzen. Ein*e Betreuer*in soll seinem*seiner Klient*in nicht ein Leben nach den eigenen Wertvorstellungen oder nach den Maßstäben der Gesellschaft aufzwingen. Im Rahmen des Möglichen und des gesetzlich Zulässigen soll er*sie seinem*seiner Klient*in das Leben ermöglichen, dass der*die Klient*in führen würde, wenn er*sie keine Betreuung benötigen würde.

Betreuer*innen müssen also in manchen Situationen „über ihren eigenen Schatten springen“ und z.B. aus ihrer Sicht unvernünftige Entscheidungen eines*einer Klient*in umsetzen. Nun kann es sein, dass sich ein*e Betreuer*in aufgrund eigener Wertvorstellungen oder Überzeugungen daran gehindert sieht, den (mutmaßlichen) Willen eines*einer Patient*in zu berücksichtigen. Das dürfte vor allem in Zusammenhang mit Entscheidungen am Lebensende der Fall sein, z.B., wenn ein*e Klient*in
weitere lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen würde, der*die Betreuer*in sich aber aufgrund eigener religiöser Überzeugungen daran gehindert sieht, sich in irgendeiner Form an einer (passiven) Sterbehilfe zu beteiligen. Dann muss ein*e Betreuer*in so fair sein, dies dem Gericht mitzuteilen, damit - zumindest für die Entscheidungen über einen Behandlungsabbruch – ein*e andere*r Betreuer*in eingesetzt werden kann. Und das wird man auch für den Fall annehmen können, dass sich ein*e Betreuer*in aufgrund eigener Überzeugung entgegen dem (mutmaßlichen) Willen eines*einer Klient*in, aller wissenschaftlichen Einschätzungen und dem ärztlichen Rat daran gehindert sieht, in eine Impfung einzuwilligen.