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Vergütungsrechtliche Einordnung

Ist die Unterbringung eines Klienten in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses hinsichtlich der Betreuervergütung einem Heimaufenthalt gleichgestellt?

Der BGH Beschluss vom 14.08.2024, XII ZB 440/23 ist im Vergleich zur Entscheidung des BGH vom 31.7.2024, Az. XII ZB 117/24 zur vergütungsrechtlichen Einordnung der besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe, nicht ganz so „spektakulär“. Sie verdeutlicht indes die zwei Ebenen, die bei der vergütungsrechtlichen Einstufung eines Aufenthaltes zu beachten sind.
28.10.2024
  • Katharina Rinne
    Katharina Rinne

Bei der Frage nämlich, ob nur die geringere Vergütungspauschale „stationär“ beansprucht werden kann, ist nicht nur eine Bewertung der Einrichtungsform nach § 9 Abs. 3 VBVG vorzunehmen, sondern auch festzustellen, ob der*die Klient*in in dieser seinen*ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 VBVG hat.  Anders ausgedrückt: selbst wenn der Aufenthaltsort als grundsätzlich stationäre Einrichtung angesehen wird, ist die geringere Vergütungspauschale nur dann gegeben, wenn im konkreten Fall der*die Klient*in dort seinen*ihren Daseinsmittelpunkt hat. Wie ist also der Aufenthalt bei U-Haft, bei Kurzzeitpflege oder eben bei einer zivilrechtlichen Unterbringung zu bewerten? 

Ob eine Person, die zivilrechtlich in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht ist, dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann, ist umstritten. Teilweise wird diese Frage grundsätzlich verneint, weil die zivilrechtliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus stets auf eine möglichst kurzfristige Anwendung und damit vorübergehende Aufenthaltsdauer ausgelegt sei. Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass eine in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Person dort auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann, insbesondere wenn sie keinen anderen Daseinsmittelpunkt hat, z.B. keine Wohnung vorhanden ist, in welche zurückgekehrt werden könnte. Teilweise wird auch im Falle einer langjährigen zivilrechtlichen Unterbringung das Hinzutreten weiterer Umstände für erforderlich gehalten, um einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus annehmen zu können. 

Hier schafft der – zu Gunsten des die Beschwerde führenden Betreuers – ergangene Beschluss des BGH Klarheit.

In seiner Entscheidung hebt der BGH zunächst hervor, dass sich eine schematische Betrachtungsweise verbietet und daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden könne, dass bei zivilrechtlicher Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 VBVG vorliegt. Der BGH macht aber deutlich, dass „der Regelfall“ nicht der gewöhnliche Aufenthalt ist. Denn die Voraussetzung für die Annahme eines tatsächlichen Aufenthaltes sei in jedem Fall, dass der Aufenthalt erkennbar auf längere Zeit und nicht lediglich auf einen vorübergehenden Verbleib zu Behandlungszwecken ohne nachhaltige soziale Integration angelegt ist. Dies aber – so der BGH – könne bei einer Unterbringung „nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden“, denn die erfolge „(…)  regelmäßig nur vorübergehend für den Zeitraum der erforderlichen Heilbehandlung.  

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist in einer Betreuungssituation nicht ganz untypisch: Zunächst hielt sich die bis dahin obdachlose Betroffene für einige Monate freiwillig zu Behandlungszwecken in einer Klinik auf. In der Folgezeit gab es wiederholt genehmigte Unterbringungen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses für jeweils wenige Wochen. Diese kurzzeitigen Unterbringungen erfolgten vor dem Hintergrund, dass nach Abschluss der Heilbehandlung zunächst kein geeigneter Pflegeplatz gefunden werden konnte. Insgesamt hielt sich die Betroffene 15 Monate in der Klinik, bzw. der geschlossenen Abteilung auf. 

Der BGH verneinte in diesem Fall trotz der Dauer des Aufenthaltes die Annahme eines tatsächlichen Aufenthaltes in der Einrichtung mit folgenden Überlegungen. Zunächst bestand bei dem freiwilligen Aufenthalt jederzeit die Möglichkeit, das Klinikum wieder zu verlassen und begründete von daher keinen neuen Lebensmittelpunkt. Ferner diente die Unterbringung erkennbar und ausschließlich der Überbrückung bis zum Wechsel in eine Folgeeinrichtung. Diese Umstände gaben – so der BGH – dem Aufenthalt der Betroffenen im Klinikum trotz der tatsächlichen Dauer „das Gepräge eines vorübergehenden Aufenthalts ohne nachhaltige soziale Integration“. 

Von der Frage, ob ein tatsächlicher Aufenthalt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 VBVG angenommen werden kann, ist die Frage, ob die Einrichtung, in er sich die Klient*innen in diesem Sinne tatsächlich aufhalten, eine stationäre Einrichtung nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 VBVG ist, zu unterscheiden. 

Diese zweite Frage hat der BGH in seiner Entscheidung ebenfalls beantwortet und erklärt, dass die geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhaus als solche generell eine stationäre Einrichtung nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 VBVG darstellt. Hierzu heißt es: „Zwar mag ein Krankenhaus nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht in erster Linie dazu bestimmt sein, seinen Patienten „Wohnraum“ zu überlassen. Gleichwohl wird den Patienten für die Dauer ihres Aufenthalts neben der eigentlichen Heilbehandlung und Pflege rein tatsächlich auch eine Unterkunft gewährt.“ Dem Grundsatz folgend, dass der Aufwand der rechtlichen Betreuung geringer ist, wenn der*die Klient*in in einer stationären Einrichtung oder einer gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform lebt , sieht der BGH daher eine Herabsetzung der monatlichen Fallpauschale auch im Falle eines Aufenthalts der Klient*innen in einem Krankenhaus (wenn dieser als tatsächlicher Aufenthalt angesehen wird) als gerechtfertigt an, da die Klient*innen dort – ebenso wie in einem Pflegeheim – weitgehend versorgt sind. 

Weitere Hinweise zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes:

  • Die gerichtliche Genehmigung der Unterbringung stellt lediglich eine Höchstfrist für die Unterbringung dar; diese ist daher auch nach ärztlicher Beratung vorher zu beenden, sobald die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr gegeben sind.  

 

  • Ein (auch längerer) Krankenhausaufenthalt begründet regelmäßig noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, es sei denn, eine auf Dauer angelegte  ärztliche Behandlung ist notwendig, die ausschließlich im Krankenhaus und nicht in einer anderen (Pflege-)Einrichtung erfolgen kann.

 

  • Auch eine U-Haft begründet regelmäßig keinen gewöhnlichen Aufenthalt, weil auch diese jederzeit vorzeitig beendet werden kann.

 

  • Bei einem Aufenthalt in der Kurzzeitpflege ist zu differenzieren: Handelt es sich um eine Kurzzeitpflege im eigentlichen Sinne, also z.B. weil diese nur für den Übergang zwischen Krankenhausbehandlung und Ermöglichen der ambulanten Pflege im häuslichen Umfeld gedacht ist, so ist kein tatsächlicher Aufenthalt in der die Kurzzeitpflege leistenden Einrichtung begründet. Ebenso nicht, wenn nicht absehbar ist, ob eine Rückkehr in die „eigenen vier Wände“ möglich sein wird und eine solche jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Anders aber, wenn die Kurzzeitpflege dem Grunde nach von Anfang an auf Dauer angelegt ist, z.B. weil sie Zeit bis zum Freiwerden des dauerhaften Pflegeplatzes  überbrücken soll. Im letzteren Fall ist mit Aufnahme in die Kurzzeitpflege bereits ein dauerhafter und damit tatsächlicher Aufenthalt i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 VBVG in der Einrichtung begründet. Wenn zu Beginn der Aufnahme noch nicht klar ist, ob eine weitere Versorgung im häuslichen Umfeld möglich ist, wird man zunächst davon ausgehen können, dass dann auch noch kein tatsächlicher Aufenthalt begründet ist.

 

  • Für die Beurteilung des tatsächlichen Aufenthaltes kommt es in allen Fällen nicht darauf an, ob sich der*die Klient*in selbst den Aufenthaltsort als seinen*ihren Daseinsmittelpunkt „empfindet“ oder sich dort aufhalten möchte. Andernfalls würde selbst die dauerhafte Inhaftierung zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder eine Unterbringung nach § 63 StGB keinen tatsächlichen Aufenthalt in der JVA oder der forensischen  Psychiatrie begründen.