Unterfallen Berufsbetreuer*innen der Rentenversicherungspflicht?
- Beruf Betreuung
- Recht
Versicherungspflichtig nach § 2 Nr. 9 SGB sind selbständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.
Die Deutsche Rentenversicherung geht davon aus, dass der*die Berufsbetreuer*in unter bestimmten Voraussetzungen und im Einzelfall als sog. arbeitnehmerähnliche*r Selbständige*r im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI anzusehen ist.
Begriffsklärung: Mit arbeitnehmerähnlichen Selbständigen sind „echte“ Selbständige gemeint, bei denen jedoch eine finanzielle Abhängigkeit von (nur) einem Antraggeber besteht. Nicht zu verwechseln mit sog. Scheinselbständigen, die z.B. durch Vertrag "angeblich" selbständige Leistungen erbringen, obgleich tatsächlich ein reguläres Arbeitsverhältnis vorliegt. |
Nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung sind die Betreuungsgerichte Auftraggeber, wobei das Betreuungsgericht, das dem*der Betreuer*in die anzahlmäßig meisten Betreuungen übertragen hat, als Hauptauftraggeber angesehen wird.
Diese Auffassung ist nicht begründbar.
1. Besonderheiten des Betreuungsrechts steht die Anwendung des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI entgegen
Zielsetzung des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI ist es, selbständig Tätige mit nur einem Auftraggeber aufgrund der damit verbundenen wirtschaftlichen Abhängigkeit dem Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung zu unterstellen (BSG, Urteil vom 4.11.2009, Az. B 12 R 3/08). Ein selbständig Tätiger ist dann im Wesentlichen von einem Auftraggeber abhängig, wenn er mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Betriebseinnahmen aus den zu beurteilenden Tätigkeiten allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber bezieht (LSG BaWü vom 19.2.2014, Az. L 5 R 1684/13).
Die Besonderheiten des Betreuungsrechts stehen der Annahme einer Versicherungspflicht von Betreuer*innen nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI aufgrund eines solchen Schutzbedürfnisses entgegen.
Eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Betreuer*innen könnte nur dann angenommen werden, wenn die Gefahr bestünde, dass unerwartet und umfänglich die Einnahmequelle „Vergütung“ alleine deshalb wegfallen könnte, weil der*die Betreuer*in bei nur einem (Haupt)Betreuungsgericht bestellt wurde. Dies ist jedoch sowohl aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zur Aufhebung einer Betreuung oder zur Entlassung eines*r Betreuer*in aus einer Betreuung als auch aufgrund der tatsächlichen derzeitigen Gegebenheiten (Mangel an Betreuer*innen), ausgeschlossen.
Bestellung und Entlassung von Betreuer*innen sind gesetzlich bestimmt. Dabei wird eine Betreuung regelmäßig „auf Dauer“ bestellt; über die Verlängerung hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Bestellung zu entscheiden; § 295 FamFG.
Während ein Auftraggeber durch eine einzige Erklärung (Kündigung des Auftragsverhältnisses), die gesamten mit ihm verbundenen wirtschaftliche Einnahmequelle des Auftragnehmers „auf einen Schlag“ beenden kann, besteht diese Gefahr bei Betreuungsbestellungen nicht. Das Betreuungsgericht kann nicht aus eigener Willkür mit nur einer Erklärung sämtliche Betreuungen „kündigen“. Das Betreuungsgericht kann nur jede einzelne Betreuung unter Beachtung der engen gesetzlichen Vorgaben (vgl. §§ 1868, 1871 BGB) aufheben.
Betreuungsgerichte nehmen Aufgaben im Rahmen der dem Staat obliegenden Fürsorgepflicht war und sind daher nicht mit marktwirtschaftlichen Akteuren, die ihr Handeln willkürlich bestimmen, vergleichbar. Art und Weise von Betreuungsbestellung und -aufhebung sind mit einer Beauftragung im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI nicht vergleichbar. Daher ist die Gefahr einer, den Schutz des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI auslösende, wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht gegeben und für die Anwendung dieser Vorschrift auf Berufsbetreuer*innen kein Raum.
2. Die Betreuungsgerichte sind keine „Auftraggeber“
Der insoweit weit verstandene rentenversicherungsrechtliche Auftraggeberbegriff hat seinen Grund darin, bestimmte (markttypische) Geschäftsmodelle zu erfassen (z.B. Vermittlungsagentur, Franchising). So kommt es für ein solches Auftragsverhältnis regelmäßig darauf an, ob den selbstständig Erwerbstätigen nicht nur unwesentliche Verpflichtungen zum Tätigwerden gerade und wesentlich nur für seinen Vertragspartner und die Nutzung seiner Dienste oder den Verkauf seiner Waren (Franchise-Verhältnis, bspw. bei "Backshops") treffen, vgl. LSG BaWü LSG BaWü vom 19.2.2014, Az. L 5 R 1684/13.
Das Verhältnis von Betreuungsgericht gegenüber den Berufsbetreuer*innen ist einem solchen Auftragsverständnis in keiner Weise vergleichbar. Hier einige Aspekte, die dies verdeutlichen:
- Betreuungen sind nicht an ein bestimmtes Betreuungsgericht gekoppelt, sondern „frei wählbar“. Es besteht keine Verpflichtung zum Tätigwerden gerade und wesentlich nur für ein Betreuungsgericht.
- Pflichten der Betreuer*innen – im Sinne einer „Auftragserfüllung“ – bestehen stets nur im Verhältnis zu den Klient*innen. Die Wahrnehmung der Betreuungstätigkeit ist nach Inhalt und Berechtigung im Innenverhältnis nach den „Vorgaben“ der jeweiligen Betroffenen ausgerichtet. Der*die Betreuer*in nimmt alle Tätigkeiten vor, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des*der Klient*in rechtlich zu besorgen (§ 1821 Abs. 1 BGB). Maßstab des Handelns ist ausschließlich die Wunschbefolgung.
- Pflichten, die Berufsbetreuer*innen gegenüber dem Gericht haben (z.B. Rechnungslegung, Berichtspflichten, etc.) haben Ihren Grund ebenfalls regelmäßig ausschließlich in der Kontrolle der und Hinwirkung auf die ordnungsgemäße Erfüllung der gegenüber den Klient*innen bestehenden Pflichten durch den*die Betreuer*in.
- Die Aufsichtspflicht des Gerichts nach § 1862 BGB beschränkt sich auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch den*die Betreuer*in, der*die grundsätzlich selbständig und eigenverantwortlich, alleine den Klient*innen gegenüber verpflichtet, über jede einzelne Maßnahme im Rahmen des übertragenen Aufgabenbereichs entscheidet.
- Grundsätzlich sind die Betroffenen selbst Schuldner der Betreuervergütung, vgl. § 1875 Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 1 VBVG. Der Staat (Justizkasse) tritt nur dann und auch nur ersatzweise ein, wenn die Betroffenen als mittellos gelten. Durch Befriedung durch die Staatskasse, gehen die Ansprüche des*der Betreuers*in gegen die Klient*innen dann auf die Staatskasse über (gesetzlicher Forderungsübergang, vgl. § 1881 BGB).
Die Bestellung durch die Betreuungsgerichte ist daher auch in dem weitgefassten sozialrechtlich verstandenen Sinne kein Auftragsverhältnis. Der Staat (in Gestalt des Betreuungsgerichts) gewährt mit der Bestellung lediglich den Betroffenen den diesen zustehenden Anspruch auf staatliche Fürsorge. Das Gericht ist weder „frei“ in der Bestellung noch in der Beendigung einer Betreuung. Und in der Zeit „dazwischen“ („Ausführung des Auftrages“) ist es außen vor; es kann auf Betreuungsausführung nicht gestalterisch einwirken, da Betreuer*innen frei von gerichtlicher Einflussnahme entscheiden. Eine Beziehung im Sinne einer Beauftragung zwischen Betreuer*innen und Betreuungsgericht besteht daher unter keinem Gesichtspunkt.
Weitere wichtige Hinweise:Uns wurde von verschiedenen Mitgliedern berichtet, dass diese Schreiben der Rentenversicherung erhalten mit der Aufforderung, die Anzahl der Betreuungen und deren Verteilung auf die verschiedenen Betreuungsgerichte darzulegen. Diese Schreiben zielen darauf ab, eine Versicherungspflicht anhand der 5/6 Regelung (Feststellung eines Hauptbetreuungsgerichts) prüfen zu können. Uns ist derzeit ein anhängiges Verfahren bekannt; dieses betrifft die Geltendmachung rückständiger Beiträge. Das Verfahren läuft von dem SG Hannover zum Az. S 17 R 603/24. Wir raten, gegen förmliche Bescheide Widerspruch einzulegen und notwendigenfalls gegen den Widerspruchsbescheid Klage einzureichen. Es sollte mit Verweis auf das bereits anhängige Verfahren vor dem Sozialgericht Hannover daneben das Ruhenlassen des Verfahrens beantragt werden. Für Berufsanfänger*innen (in den ersten drei Jahren nach Aufnahme der Tätigkeit [erste Bestellung]) und für Berufsbetreuer*innen, die das 58 Lj. vollendet haben, besteht die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht, s. § 6 Abs. 1a SGB VI. Hier muss ein Antrag auf Befreiung gestellt werden (s. § 6 Abs. 2 SGB VI). |