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Selbstbestimmung

Grenzen und Unzumutbarkeit in der Wunschbefolgung

Das neue Betreuungsrecht will besonders Klient*innen in ihrer Selbstbestimmung stärken. Entsprechend werden ihre Wünsche zur Richtschnur für betreuerisches Handeln. Doch die Pflicht zur Wunschbefolgung gilt nicht uneingeschränkt.
26.10.2022
  • Dirk Brakenhoff

Betreuer*innen dürfen bzw. müssen unter bestimmten engen Bedingungen weiter Entscheidungen ohne oder gegen den Willen der Klient*innen treffen – der Schutzauftrag bleibt in Grenzen bestehen. Was die Pflicht zur Wunschbefolgung für Berufsbetreuer*innen bedeutet und wo die Grenzen verlaufen, stellt der folgende Artikel in den Mittelpunkt.

Das neue Betreuungsrecht regelt klarer als das alte, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung für Klient*innen bei der Besorgung ihrer Angelegenheiten gewährleisten soll. Qualitativ gute Betreuung wird fortan daran gemessen, ob sie aktiv und systematisch die Selbstbestimmungsrechte der Klient*innen im Prozess der Betreuung fördert. Der Wunsch der Klient*innen wird nun als Maßstab für jegliches Betreuer*innenhandeln definiert, und das hat unmittelbare Konsequenzen für das berufliche Wirken. 

Außer in den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen der erheblichen Gefährdung und der Unzumutbarkeit wird es keine Abwägung eines (nach objektiven Kriterien bestimmten) Wohls gegenüber den Wünschen eines*r Klienten*in mehr geben (§1821). Die Pflicht zur Wunschbefolgung ist allerdings nicht schrankenlos. Es wird auch weiterhin keine Betreuung ohne Vertretungsmacht geben, denn Betreuer*innen haben auch nach dem neuen Betreuungsrecht die Pflicht, ihre Klient*innen unter bestimmten Bedingungen vor missbräuchlicher Einflussnahme und Selbstschädigung zu schützen, also Maßnahmen ohne oder gegen deren Willen umzusetzen („ersetzende Entscheidung“). Und im Fall der Geschäftsunfähigkeit eines*r Klienten*in ist eine Stellvertretung notwendig, weil diese*r nach gegenwärtiger Rechtslage (§ 105 BGB) selbst nicht rechtlich wirksam handeln kann.

Der Grundsatz, dass die Wünsche regelmäßig zu beachten sind und nur in wenigen Ausnahmefällen von der Umsetzung abgewichen werden darf, wird auch als die neue „Magna Charta“ des Betreuungsrechts bezeichnet – der Grundsatz gilt für alle Aufgabenbereiche und ausdrücklich auch für die Vermögenssorge. Er ist von allen Beteiligten zu beachten, also z.B. auch vom Gericht in Zusammenhang mit der Bearbeitung eines Genehmigungsantrags. Es wird also auch weiterhin Grenzen der Pflicht zur Wunschbefolgung geben, diese werden aber anders zu ziehen sein als bisher.

Konsequenzen der Missachtung  von Wünschen

Übergeht ein*e rechtliche*r Betreuer*in die Wünsche, den Willen und die Präferenzen der betreffenden Person, so kann dies – auch abgesehen von eventuellen rechtlichen Konsequenzen – unterschiedliche Folgen haben. Betreuer*innen sollten sich bewusst machen, welche Auswirkungen eine ersetzende Entscheidung auf Klient*innen haben kann. Denn entscheidet diese*r gegen den Willen der betreffenden Person, durchleidet diese in der Regel negative Gefühle. Enttäuschung, Frustration, Ernüchterung, Hilflosigkeit, Resignation oder  Wut sind häufig die Reaktionen, die die Missachtung der eigenen Wünsche und Präferenzen hervorruft. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Mensch über einen freien Willen verfügt oder nicht. Ebenso ist es zunächst unerheblich, ob diese Missachtung der Wünsche rechtmäßig ist oder nicht: Sie kann das Verhältnis zwischen Betreuer*in und Klient*in und auch insgesamt die Akzeptanz einer Betreuung beeinträchtigen. Im Gegensatz dazu hat es für einen Menschen auch einen gewissen positiven (immateriellen) Wert, wenn seine Entscheidungen akzeptiert werden und er zum Beispiel selbst bestimmen kann, wofür er sein Geld ausgibt. Zwar enthält auch bereits das bisherige Betreuungsrecht die Vorgabe, dass der Wille und die Wünsche der Klienten*innen grundsätzlich zu beachten sind, sofern es nicht deren Wohl zuwiderläuft. Hinsichtlich der Grenze, wann dem Wohl zum Schutz der*des Klient*in der Vorrang gegenüber den Wünschen einzuräumen ist, ist es allerdings häufig zu Missverständnissen gekommen.

Grenzen der Wunschbefolgung

Es ist schon länger anerkannt und ergibt sich auch aus  der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit beanspruchen können und daher auch psychisch erkrankten und auch geschäftsunfähigen Menschen das Selbstbestimmungsrecht zusteht. Demnach dürfen Betreuer*innen ihre Klient*innen nicht zu einem an objektiven Maßstäben ausgerichteten Leben zwingen oder „erziehen“. Wie alle anderen Menschen haben auch sie ein Recht auf ein unangepasstes Leben, und selbst wirtschaftlich unvernünftige Verhaltensweisen müssen akzeptiert werden (Jurgeleit-Kieß, § 1901 BGB Rn. 46, „Recht auf Krankheit und unangepasstes Verhalten“). Ein Beispiel dafür ist die Situation nach Einzug in in Pflegeheim. Solange ausreichende finanzielle Mittel dafür vorhanden sind, muss es akzeptiert werden, wenn der*die Klient*in die bisherige Wohnung behalten möchte. Dies gilt auch, wenn in Anbetracht des Krankheitsbildes keine realistische Aussicht auf eine Rückkehr in die eigene Häuslichkeit besteht.
Andererseits ergeben sich aus der zur bisherigen Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH XII ZR 77/06 vom 22.7.2009, BtPrax 2009, 290 = FamRZ 2009, 1656) auch Einschränkungen. Der Vorrang des Willens des Klienten gilt danach aber nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Klienten sind, er gilt nicht für bloße Zweckmäßigkeitserwägungen. Beachtlich sollen auch nur solche Wünsche sein, die nicht Ausdruck der Erkrankung des Klienten sind. Sie müssen zudem auch auf der Grundlage ausreichender Tatsachenkenntnis gefasst worden sein.

Sofern diese Grenzen nicht beachtet werden, kommen danach haftungsrechtliche Ansprüche eines*r Klient*in in Betracht. Es überrascht daher nicht, dass Betreuer*innen fürchten, stellvertretend für Klient*innen von ihnen gewünschte nachteilige Rechtsgeschäfte zu tätigen oder solche (von Klienten*innen selbst beabsichtigte Rechtsgeschäfte) nicht verhindern. Die Berücksichtigung der Wünsche wird im Gesetzestext zur Neuregelung umfangreicher und deutlicher ausgeführt. Es heißt jetzt nicht mehr allgemein, dass die Wünsche und das Wohl (also ein objektiver Maßstab) gegeneinander abgewogen werden müssen, sondern die Wünsche sind grundsätzlich zu beachten. Davon darf nur in den beiden im Gesetz genannten Ausnahmefällen – einer nicht von einem freien Willen getragenen erheblichen  Gefährdung des Vermögens oder der Person oder der Unzumutbarkeit für den*die Betreuer*in – abgewichen werden.

Nun sind die Ausnahmen immer noch recht ungenau bezeichnet, weil es nahezu unmöglich ist, in einem Gesetz alle denkbaren Situationen genau zu beschreiben und jeden möglichen Einzelfall zu regeln. Sofern der Gesetzestext selbst nicht eindeutig ist, muss das Gesetz ausgelegt werden. Ein wesentliches Kriterium ist dabei der Wille des Gesetzgebers, den man häufig der Gesetzesbegründung entnehmen kann, hier der Bundestagdrucksache 19/24445, S. 249 ff. Die wichtigsten dort enthaltenen Kernaussagen zur Befolgung von Wünschen lauten:

  • Die Vorgaben zur Berücksichtigung der Wünsche der Klient*innen sollen der Maßstab für das Handeln aller Akteure des Betreuungswesens sein. Es handelt sich dabei um die„Magna Charta“ für das gesamte Betreuungswesen.
  • Ungeschriebene – da selbstverständliche – Norm ist, dass der Wille der Klient*innen, solange diese ihn frei bilden können, stets zu beachten ist und nicht von ihm abgewichen werden darf. Aber auch dann, wenn die Fähigkeit zur freien Willensbildung aufgehoben ist, darf nicht auf ein objektives Wohl zurückgegriffen werden, sondern es sind die Wünsche und hilfsweise der mutmaßliche Wille der Klient*innen zu beachten.
  • Als Wünsche gelten dabei sowohl solche Äußerungen, die auf einem freien Willen beruhen, als auch solche, denen kein freier Wille (mehr) zugrunde liegt. Nur von solchen Wünschen, die krankheitsbedingt gebildet sind und deren Befolgung den*die Klient*in schädigen würde, darf nach Absatz 3 unter bestimmten Voraussetzungen zu seinem*ihrem Schutz abgewichen werden.
  • Dann ist der mutmaßliche Wille maßgebend. Ein Rückgriff auf ein objektives Wohl ist nicht erforderlich, da stets eine Möglichkeit besteht, den mutmaßlichen Willen festzustellen bzw. diesen individuell zu bestimmen. Dieser ist aufgrund aller bekannten oder zugänglichen Anhaltspunkte zu ermitteln. Der*die Betreuer*in hat zu fragen, wie sich der*die Klient*in selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er*sie noch über sich selbst bestimmen könnte.
  • Wenn der*die Betreuer*in kaum auf Anhaltspunkte zurückgreifen kann, ist eine „beste Interpretation“ von Willen und Präferenzen vorzunehmen. Dabei kann es Situationen geben, in denen tatsächlich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, welche Entscheidung der*die Klient*in in der konkreten Situation getroffen hätte.
  • Je weniger Informationen der*die Betreuer*in hat, umso mehr muss er*sie auf allgemeingültige Vermutungen zurückgreifen. Maßstab für diese Bestimmung bleibt aber der individuelle subjektive mutmaßliche Wille des*der Klient*in und nicht ein objektives Wohl.

§ 1821 BGB-E gilt für alle Aufgabenbereiche in gleicher Weise, also auch für Tätigkeiten der Vermögenssorge oder bei der Regelung behördlicher Angelegenheiten. Es gelten folglich – anders als im Vormundschaftsrecht – weder allgemein übliche objektive Maßstäbe noch die Grundsätze einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung.

  • Eine Begrenzung erfolgt nur durch äußere Rahmenbedingungen („im Rahmen seiner Möglichkeiten“). Wünsche, die aufgrund mangelnder persönlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Ressourcen nicht zu verwirklichen sind, hat der*die Betreuer*in demnach nicht zu verfolgen.
  • Es kommt nicht darauf an, ob der Wunsch auf einer rationalen Grundlage zustande gekommen ist, ob der*die Klient*in geschäftsfähig ist oder nicht, oder ob der Wunsch nach objektiven Maßstäben vernünftig ist. Er muss allerdings im Rahmen des Möglichen realisierbar sein.

Ausnahme aufgrund einer erheblichen Selbstgefährdung

Um eine Abweichung von den Wünschen auf dieser Grundlage zu rechtfertigen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein.

Die erste Voraussetzung dafür ist gem. § 1821 Abs. 3 Nr. 1 BGB, dass durch eine Wunschbefolgung die Person oder das Vermögen der Klient*innen erheblich gefährdet wäre. Das ist vor allem der Fall, wenn sich dadurch die gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde, also der angemessene Lebensunterhalt nicht mehr gesichert wäre. Die drohenden negativen Folgen für höherrangige Rechtsgüter, wie insbesondere das Leben, die Gesundheit oder das Vermögen der Klient*innen müssen jedenfalls so gewichtig sein, dass sie ein Absehen von der Wunschbefolgung zu rechtfertigen vermögen. Als eine solche Gefährdung kommt es z.B. in Betracht, wenn in Folge unnötiger Geldausgaben die Miete nicht mehr bezahlt werden könnte, sodass ein Wohnungsverlust drohen würde, oder dass kein Geld für Lebensmittel mehr vorhanden wäre. Drohende leichte oder mittelgradige Schäden würden aber nicht ausreichen. Für die Beurteilung wird immer eine Abwägung im Einzelfall notwendig sein.

Dabei ist auch abzuwägen, welche Wichtigkeit der Wunsch für den*die Klient*in hat, wie hoch der drohende Schaden wäre und mit welcher Wahrscheinlichkeit er eintreten würde. Ebenfalls muss berücksichtigt werden, wie der drohende Schaden auf die betroffene Person wirken würde. Beispielsweise können zwei Wochen ohne ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln von einem Menschen als unzumutbar und äußerst belastend empfunden werden, während ein anderer davon kaum beeindruckt wäre und das vielleicht sogar bewusst einkalkuliert und dabei zu der Entscheidung gelangt, dass ihm eine bestimmte Anschaffung so wichtig ist, dass er dafür zwei Wochen Hunger gerne in Kauf nimmt (siehe dazu auch Dodegge, Vom Wohl des Betroffenen zu dessen Wünschen und Willen - neue Maßstäbe für die Betreuertätigkeit, FamRZ 2022, 844, 846)

Eine zweite Voraussetzung ist, dass „der Betreute die Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann“. Das kann für Betreuer*innen problematisch werden – es dürfte ihnen in vielen Fällen kaum möglich sein, das selbst ausreichend sicher zu beurteilen. Man bedenke, dass selbst das Gericht eine*n Gutachter*in beauftragen muss um zu klären, ob noch ein freier Wille gegeben ist. In Bezug auf die Frage der Haftung im Fall einer Fehleinschätzung wird man dies sicherlich berücksichtigen müssen. Da Betreuer*innen möglicherweise für verursachte Schäden haften, sollte gut dokumentiert werden, ob und wie ein*e Klient*in beraten und über die bestehenden Handlungsalternativen und ihre Folgen informiert wurde, damit man später in einer eventuellen Auseinandersetzung über Schadensersatzansprüche belegen kann, warum man z.B. einem finanziell schädlichen Wunsch eines*r Klienten*in gefolgt ist oder den Wunsch eines Klienten missachtet hat. 

Sollte ein*e Betreuer*in zu dem Schluss kommen, den Klient*innen-Wunsch missachten zu wollen, ist ihm*ihr zu raten, dies zunächst dem Gericht mitzuteilen. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, die Angelegenheit auf ein pflichtwidriges Handeln hin zu überprüfen und dem*der Betreuer*in ggf. eine Weisung zu erteilen. Für den Fall, dass ein*e Betreuer*in auf Wunsch eines*r Klienten*in hin von den gesetzlichen Vorgaben für die Vermögensverwaltung abweichen will, wird dieses Verfahren in § 1838 Abs. 2 BGB sogar ausdrücklich vorgeschrieben. Eindeutig ist aber, dass ein Wunsch auf einer ausreichenden Kenntnis der möglichen Folgen der Verwirklichung und der bestehenden Handlungsalternativen beruhen muss. Gegebenenfalls muss der*die Betreuer*in den*die Klienten*in ausreichend informieren und beraten. Das darf aber nicht so weit gehen, dass eine Angelegenheit mit einem*einer leicht zu beeinflussenden Klienten*in so lange besprochen wird, bis diese*r zu einem von dem*der Betreuer*in gewünschten Ergebnis gelangt. Ein auf diese Weise erreichter Wunsch wäre nicht mehr Ausdruck einer selbstbestimmten Entscheidung (so auch Dodegge, aaO S. 848).

Ausnahme wegen Unzumutbarkeit

Ein*e Betreuer *in ist zudem nicht verpflichtet, Wünschen der Klient*innen nachzukommen, wenn dies für ihn*sie unzumutbar ist. Der*die Klient*in kann keine völlig überzogenen Handlungen verlangen, die den*die Betreuer*in unangemessen stark belasten würden, Betreuer*innen müssen nicht Tag und Nacht zur Verfügung stehen und müssen auch keine Tätigkeiten wie etwa die Begleitung bei Einkäufen oder Arztbesuchen, die also nicht zu ihren Aufgaben gehören, erbringen (Jurgeleit-Kieß, aaO Rn. 49). Es können auch keine sinnlosen Aktivitäten – wie etwa von vornherein aussichtslose Verhandlungen mit Dritten – verlangt werden (Dodegge, aaO S. 848).

Auch eine Gefährdung Dritter oder der Allgemeinheit kann von Betreuer*innen nicht verlangt werden und muss abgelehnt werden. Ebenfalls kann von Betreuer*innen nicht verlangt werden, auf Wunsch der Klient*innen eine rechtswidrige Handlung vorzunehmen oder diese bei einer solchen zu unterstützen. Das gilt erst recht, wenn dem*der Betreuer*in selbst gesetzeskonforme Handlungen obliegen, etwa zutreffende Angaben gegenüber Sozialleistungsträgern oder dem Finanzamt zu machen. 

Da der*die Klient*in auch das Recht hat, sich mit freiem Willen zu schädigen, muss es für den*die Betreuer*in die Möglichkeit geben, sich nicht aktiv an der Selbstschädigung zu beteiligen bzw. diese nicht zu unterstützen(dieser Grundsatz gilt auch bereits nach der bisherigen Rechtslage, Jurgeleit- Kieß, aaO, Rn. 47, für die neue Rechtslage wortgleich Bundestagsdrucksache 19/24445, S. 253). Insoweit besteht allerdings eine Ungereimtheit. Sofern der*die Klient*in geschäftsfähig und handlungsfähig ist, kann er*sie die begehrte Handlung auch selbst ausführen – er*sie wird durch die fehlende Aktivität des*der Betreuers*in nicht im Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt. Anders aber z.B. bei fehlender Geschäftsfähigkeit oder einem bestehenden Einwilligungsvorbehalt: Wenn der*die Betreuer*in in solchen Fällen die Unterstützung verweigert, kann der*die Klient*in den Wunsch nicht selbst umsetzen.

In diesem Zusammenhang gibt es noch weitere Zweifelsfälle: Zum einen kann es vorkommen, dass ein*e Klient*in wünscht, eine Angelegenheit (z.B. die Beantragung sozialrechtlicher Leistungen oder eine Auseinandersetzung mit dem Vermieter) selbst zu regeln, dies dann aber gar nicht oder nicht sachgerecht tut. Schon aufgrund haftungsrechtlicher Risiken werden Betreuer*innen sorgfältig prüfen (und dies auch dokumentieren) müssen, ob sie nicht doch entgegen dem Wunsch des*der Klienten*in selbst tätig werden müssen. Zum anderen kann es auch den spiegelbildlichen Fall geben - ein*e Klient*in wäre durchaus in der Lage, eine Angelegenheit selbst oder mit Hilfe anderer Unterstützungsmöglichkeiten selbst zu regeln, verlangt aber aus Bequemlichkeit, dass der*die Betreuer*in diese Angelegenheit erledigt. Die eigene Erledigung durch den*die Betreuer*in ließe sich kaum mit dem Grundsatz vereinbaren, dass stellvertretendes Handeln nur dann erfolgen darf, wenn eine eigene Ausführung durch den*die Klienten*in nicht möglich ist. Zudem ist es nicht das Ziel des Betreuungsrechts, einem Menschen Tätigkeiten abzunehmen, die dieser zwar als lästig empfindet, aber durchaus selbst erledigen könnte. Andererseits wäre der Wunsch des*der Klienten*in gemäß den Vorgaben in § 1821 Abs. 2, 3 BGB beachtlich, so dass ihm entsprochen werden müsste. Es ist unklar, ob man in solchen Fällen von einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 1821 Abs. 3 Nr. 2 ausgehen kann (siehe dazu auch Dodegge, aaO, S. 850, 851).

Handlungsoptionen

Neue rechtliche Normen zu Grenzen und Unzumutbarkeit in der Wunschbefolgung drängen auch zu neuen Lösungsstrategien. Diese Suche kann allerdings in diesem Rahmen nicht erschöpfend gelingen: Zum einen, weil das neue Recht erst 2023 in Kraft treten und praxisrelevant werden wird, zum anderen, weil es für das Thema Wunschbefolgung nie „Masterlösungen“ geben wird, sondern immer nur individuelle und auf die konkrete Fallgestaltung bezogene Antworten.

Neue Grenzen der Wunschbefolgung bedeuten auch gleichzeitig neue Herausforderungen an die eigene Professionalität. Und hier sollte sich jede*r Betreuer*in selbstkritisch reflektieren: 

  • Reicht mein vorhandenes fachliches Wissen zu Entscheidungsprozessen und Unterstützter Entscheidungsfindung aus?
  • Bin ich genügend geschult und anwendungssicher hinsichtlich meiner Handlungs- und methodischen Kompetenzen? Also beispielsweise bei den Verfahren der systematischen Fallsteuerung, bei der betreuungsspezifischen Erhebung des Bedarfs, im Hinblick auf professionelle Kommunikation und praktische Gesprächsführung sowie adressat*innengerechte Kommunikation etc.?
  • Gehe ich fachlich versiert mit den vorhandenen Macht-Asymmetrien um?
  • Wie sieht es mit meinem Wissen über psychische Erkrankungen aus?

Die Klärung von Grenzsituationen hinsichtlich der Wunschbefolgung verlangt jedoch neben fachlichen Kompetenzen auch die regelmäßige Inanspruchnahme eines „externen Rats“, des Austauschs und der Netzwerkarbeit.

Die genannten Kompetenzen und Vorschläge zum Vorgehen werden den meisten Betreuer*innen nicht fremd sein. Darüber hinaus sind sie nur als Beispiele zu werten. Die veränderte Wunschbefolgungspflicht verlangt jedoch, diese und weitere Kompetenzen und Handlungsoptionen neu zu betrachten und zu bewerten. Das gilt für jeden*jede einzelne*n Betreuer*in, der*die sich dabei selbstkritisch reflektieren sollte. Das gilt aber gleichzeitig auch für die Profession rechtlicher Betreuung als Ganzes, denn die Erreichung der hohen betreuungsrechtlichen Ziele setzt eine entsprechend umfangreiche Ausbildung voraus, die deutlich höher anzusetzen sein dürfte, als der geplante Sachkundekurs. Welche Kompetenzen das sein könnten oder sollten, hat der BdB jüngst veröffentlicht („11 Schlüsselkompetenzen“).

Fazit

Das neue Betreuungsrecht stärkt die Selbstbestimmungsrechte der Klient*innen deutlich. Berufsbetreuer*innen müssen ihr berufliches Wirken an diese neuen Rahmenbedingungen anpassen. Wer seine Arbeit auch schon bisher darauf ausgerichtet hat, Klient*innen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und ihnen im erforderlichen Umfang Schutz zu gewähren, hat bereits den wichtigsten Schritt getan. Ein neues Gesetz bedeutet nicht zwangsläufig, dass vorher alles „falsch“ gemacht wurde und enthält auch nicht den versteckten Vorwurf, dass alle Betreuer*innen bisher keine gute Arbeit geleistet hätten. Es ist aber ein Aspekt der Professionalität, die eigene Arbeitsweise hin und wieder zu hinterfragen – und was könnte ein besserer Anlass dafür sein als eine tiefgreifende Änderung der berufsrechtlichen Rahmenbedingungen? Selbstredend bedarf es auch der Verbesserung struktureller Rahmenbedingung im Betreuungsrecht sowie einer leistungsgerechten Vergütung. Nur das „Gesamtpaket“ kann den vielen guten Ansätzen der Reform auch zu einer erfolgreichen Umsetzung verhelfen.