Meetings mitten in der Stadt
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Er ist Kajetan Kubik, nicht Betreuungsbüro Kubik. Das stellt der 40-jährige Berufsbetreuer gleich zu Beginn unseres Gespräches unmissverständlich klar. Er wolle da niemandem etwas vormachen, findet es aber auch nicht nötig, ein Büro „vorzutäuschen“: „Die Qualität meiner Arbeit hat rein gar nichts damit zu tun, ob mein Schreibtisch in einem angemieteten Büroraum oder in meiner Privatwohnung steht“, betont der Düsseldorfer.
2014 hat Kajetan Kubik den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt, nachdem er in einem Verein der freien Wohlfahrtspflege im Bereich ambulantes betreutes Wohnen tätig war. „Ich genieße es sehr, als Selbstständiger die Früchte meiner Arbeit zu ernten. Als Angestellter fand ich es irgendwann nicht mehr angemessen, dass ich von meiner geleisteten Facharbeitsstunde nur ein Drittel, mein Arbeitgeber aber zwei Drittel bekommt“, so der studierte Sozialarbeiter. Auch wenn es eine Schimäre ist, dass er sich als Einzelunternehmer die Zeit frei einteilen kann („Ich muss die ausgefallene Arbeit ja nachholen, wenn ich zum Beispiel mal einen Tag frei mache.“) und die Verantwortung groß ist, will er nicht mehr tauschen.
Dass er unter Druck steht, merken wir, als wir ihn an einem Mittwochmorgen im August bei seiner Arbeit begleiten. Wie gewohnt fährt Kajetan Kubik – immer einmal in der Woche – zum Düsseldorfer Hauptbahnhof, in der Umgebung leben viele seiner Klient*innen. „Ich arbeite überwiegend mit Obdachlosen, Straffälligen und psychisch Kranken zusammen“, erläutert er beim Gehen – immer einen Schritt schneller als wir. Die Dinge wollen erledigt werden. Um 9.45 Uhr ist er mit Amelia Nowak* verabredet. Die Unterhaltung führt er auf polnisch – „dobrze, dobrze“ und „tak, tak“, schnappen wir von ihr auf. Es läuft also gut. Die Klientin ist noch keine fünf Jahre in Deutschland und will, das hat sie selbst entschieden, auf der Straße leben. Heute Morgen besprechen die beiden eine Passangelegenheit, wie Kubik später berichtet, und dass sie im Winter doch gern ein Bett in einer Unterkunft hätte. Er geht in die Hocke, sie bleibt sitzen, es wirkt, als wäre er bei ihr zu Besuch – sie kennen sich, sie schätzen sich. Vertrauen. Das Gespräch – ein leichtes Zittern ihrer Hände, die Worte unterstreicht sie mit ausladenden Bewegungen – dauert nicht lang. Offensichtlich ist schnell geklärt, was die Klientin will und was der Betreuer tun kann.
Die Klientin richtet sich sichtbar auf
Die zweite Klientin übersehen wir fast. „Da steht sie doch“, sagt Kubik nach einer Weile. Er nickt einer jungen, schmächtigen Frau zu, die etwas verloren auf einer Verkehrsinsel am Rande des Grüngürtels steht. Als sie ihren Betreuer wahrnimmt, richtet sich Maria Thon* sichtbar auf. Kurze Begrüßung, dann sprechen sie darüber, dass sie aus eigenem Antrieb substituiert, um von den Drogen loszukommen, dass ihr Ex-Mann den Nachnamen – ihren Namen – der gemeinsamen Tochter ändern lassen will, und dass sie heute einen Vorschuss auf die regelmäßigen Auszahlungen erhält. Vereinbart sind jede zweite Woche 190 Euro. So hat sie es verfügt, damit die „Kohle nicht gleich für die Droge draufgeht.“ Viel Stoff für das Fünf-Minuten-Gespräch inmitten quietschender Reifen, aufheulender Motoren und drängender Hupen, auch der Notfallwagen mit Blaulicht fährt direkt an uns vorbei. Ja, sagt Kajetan Kubik, manchmal sei er froh, wenn er wieder in seinem Büro sitze.
Heute Morgen aber will er noch Amira Salatic* treffen. Amira Salatic ist akut psychotisch und fühlt sich von der Mafia verfolgt. Kürzlich war sie noch stationär untergebracht, hat sich aber selbstverantwortet entlassen. „Frau Salatic! Hallo!“, ruft er einer schmalen und kleinen Frau zu, die uns zufällig entgegenkommt. Den gemeinsam vereinbarten Termin hat sie vergessen. Kajetan Kubik hatte das bereits vermutet, er geht ihr ein Stück entgegen. Sie erkennt ihn, zeigt sich aber verängstigt. Er versucht, Kontakt aufzunehmen, bemüht sich, einen Moment an ihrer Seite zu bleiben, kann aber kaum ein Wort mit ihr wechseln. „Es macht keinen Sinn heute, sie hat zu viel Angst. Sie sieht auch in mir die Mafia“, beschließt er. Die Klientin zieht weiter. „Vielleicht muss sie wieder stationär untergebracht werden“, denkt Kubik laut. Und ergänzt: „Das ist einer der Hauptgründe, warum ich regelmäßig nach den obdachlosen Menschen schaue: um ihren gesundheitlichen Zustand zu überprüfen.“
Sehr diszipliniert, sehr gewissenhaft
Die persönliche Betreuung, im wahrsten Sinne des Wortes, der enge Kontakt zu seinen Klient*innen – das ist dem Betreuer mit polnischen Wurzeln ungemein wichtig. Dafür nimmt er sich immer wieder Zeit. Das setzt ein konsequent strukturiertes Arbeiten voraus – bezogen auf den Tag, auf die Woche, aber auch aufs Jahr: Schon heute hat er in seinem Kalender 2024 stehen, dass für drei Klient*innen Rechnungslegungen anstehen. So etwas hat er im Blick, um rechtzeitig mit den Vorbereitungen zu beginnen. „Ich bin sehr diszipliniert, sehr gewissenhaft“, sagt er, „und ich kenne Kolleg*innen, die das eben nicht können: sich aus eigenen Stücken morgens an den Schreibtisch setzen und aus eigenem Antrieb den Tag beginnen.“ Kajetan Kubik beginnt montags bis freitags in der Regel um 7.15 Uhr, die Akten werden geschlossen zwischen 16 und 17 Uhr. Als Einzelunternehmer muss er alles selbst erledigen: jede Postsendung öffnen, alle Schriftstücke einscannen, Telefonate entgegennehmen, den Anrufbeantworter abhören und Rückrufe tätigen („Meine Klient*innen rufe ich innerhalb eines Tages zurück, in seltenen Fällen am nächsten Tag.“). Ob er sich manchmal wünscht, davon etwas an eine*n Mitarbeiter*in abgeben zu können? Ja, schon: „Die zeitliche Mehrbelastung ist deutlich zu spüren – allemal seitdem die neuen Berichtspflichten dazu gekommen sind. Ich teile mir meine Tage gut ein. So achte ich zum Beispiel immer darauf, dass freitags keine Vorgänge mehr auf dem Tisch liegen. Wenn Schreiben im Laufe der Woche reinkommen, habe ich eine Vorsortierung, am Ende wird abgearbeitet.“ Wichtig sei, sich immer mal wieder einen ganzen Tag für Büroarbeit frei zu schaufeln, damit „man auch mal 40 Schriftstücke am Stück wegschaffen kann“.
Keimzelle seiner Arbeit ist das zwölf Quadratmeter kleine Arbeitszimmer in seiner Wohnung, die er sich mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen zehn Monate alten Sohn teilt. Eine ruhige Wohnanlage im Süden der Landeshauptstadt. Wenn Kajetan Kubik von seinem Schreibtisch aus dem Fenster blickt, dann kommt nur noch Grün. Bäume, Knicks, Wiesen und Weiden, ein paar Pferde. Bis vor Kurzem hatte er Büroräume in Aachen, die er aufgrund des privaten Umzugs nach Düsseldorf jetzt aufgegeben hat. Er arbeitet gern von zu Hause, sagt er. Ein Nachteil aber ist, dass er keinen Raum hat, um Klient*innen zu empfangen. „Das heißt, dass ich viel unterwegs bin und aufsuchende Arbeit mache – auch das muss ich effizient gestalten“, unterstreicht der 40-Jährige. „Man lernt, die Arbeit anders zu strukturieren. Wenn ich wie heute auf Tour bin, dann besuche ich alle Klient*innen, die räumlich nah beieinander sind. Sonst würde ich zu viel Zeit im Auto verbringen.“ Klar hält er immer mal Ausschau nach geeigneten Büroräumen, aber Düsseldorf ist ein teures Pflaster. Da werden für ein 30-Quadratmeter-Büro schon mal 1.000 bis 1.200 Euro (kalt!) aufgerufen. „Das steht in keinem Verhältnis zu unserer Vergütung“, findet Kajetan Kubik.
Betreuungsbüro ohne Büro
Auch bestehende Betreuungsbüros hat er besucht, um gegebenenfalls mit einzusteigen. Bis jetzt war nicht das richtige für ihn dabei. Denn: Viele Gemeinschaften sind heute nach dem Prinzip der Shared Spaces eingerichtet. „Wenn ich da einen abgeschlossenen Raum benötige, müsste ich mich jedes Mal abstimmen. Das finde ich wenig effizient“, so Kubik. Kontakt zu Kolleg*innen hat er auch ohne räumliche Anbindung. Kajetan Kubik ist ein ausgewiesener Netzwerker. In Aachen hat er zu Beginn seiner Berufstätigkeit die WhatsApp-Gruppe „Betreuungsbüro ohne Büro“ gegründet, heute tauschen sich über diesen Kanal zwölf Berufsbetreuer*innen aus. Das Pendant in Düsseldorf heißt „Zum Jägerhof“, was den Stammtisch-Ort in Präsenz beschreibt, und zählt 19 Mitglieder. „Wir tauschen uns zu allen Fragen und Themen aus. Die Gruppen sind so lebendig, dass wir täglich kommunizieren“, schwärmt Kajetan Kubik. Genau eine Voraussetzung gibt es für die Teilnahme an den WhatsApp-Gruppen: regelmäßiges Kommen zu den „realen“ Stammtischtreffen. „So bauen wir persönliche Beziehungen und gegenseitiges Vertrauen auf. Das nimmt die Angst, wirklich Fragen zu stellen.“ Und irgendeine*r hat immer eine Antwort. „Natürlich telefonieren wir auch“, ergänzt Kajetan Kubik. Dieses Netzwerk ist für ihn ein klares Qualitätsmerkmal: „Wer beruflich allein unterwegs ist und dieses wertvolle kollegiale Miteinander nicht pflegt, den würde ich als Einzelkämpfer von minderer Qualität bezeichnen, weil der Austausch fehlt.“
Die Vertretung im Urlaubs- oder Krankheitsfall zu regeln, fällt Kajetan Kubik nicht schwer. In Aachen kommt sein großes Netzwerk zum Einsatz, in Düsseldorf ist die Vertretung gerichtsseitig geregelt – jedem*r Berufsbetreuer*in wird automatisch eine Vertretung zugewiesen. „Bevor ich in den Urlaub gehe, informiere ich meine Klient*innen per E-Mail oder am Telefon darüber, wer für sie zuständig ist. Zudem wird der Anrufbeantworter entsprechend besprochen.“ Das habe bisher immer gut funktioniert, Probleme gebe es bislang keine. Und für den Musikliebhaber und Hobby-Fotografen ganz wichtig: Urlaub ist Urlaub. Der Anrufbeantworter ist zwar erreichbar, nimmt aber während seiner Auszeit keine Nachrichten auf.
Win-win-Situation
Sein Engagement in der BdB-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen dient ihm dazu, über den Tellerrand zu blicken: „Es ist immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Kommunen arbeiten. Zum Beispiel sind die Unterbringungsstrukturen überall anders aufgebaut. Ich nehme oft Anregungen aus den Bezirken der Kolleg*innen mit, die ich dann hier in Düsseldorf mit den Verantwortlichen bespreche.“ Das eine oder andere werde dann tatsächlich umgesetzt. Kajetan Kubik ist ein regelmäßiger Ansprechpartner von Behörden und Gerichten vor Ort, wenn es um Fragen der Betreuung geht: „Wir pflegen hier ein wirklich gutes Zusammenspiel“, betont er. Als wir bei Martina Kersting (Leiterin der Betreuungsbehörde) und ihrem Stellvertreter Björn Bode vorbeischauen, reicht ein kurzes „Hallo, wie geht’s?!“ zur Begrüßung und schon sind Kubik und Kersting in berufspolitische Themen vertieft. Es geht um vorläufige Registrierungen, die Rolle von Rechtspfleger*innen, um Sachkundenachweise und Informationsstrategien – irgendwie gibt es Probleme, und die Leiterin fragt nach der Meinung des erfahrenen Betreuers und Landesvorstandsmitglied: „Wie können wir das am einfachsten lösen?“. Kubik und die Behörde, das ist Geben und Nehmen. „Manchmal ist es andersherum, dann berichte ich ihr von den Sorgen und Nöten meiner Kolleg*innen und sie nimmt das mit. Wir haben hier eine Win-win-Situation.“ Die Betreuungsbehörde sei einer der Gründe, auf jeden Fall in Düsseldorf zu bleiben, betont er. Irgendwann wieder mit einem externen Büro. Aber vielleicht ist es auch gut, wie es ist.
* Die Namen der Personen haben wir geändert.
Der Beitrag ist zuerst in der bdbaspekte erschienen.